Rubi bekommt ein Gspäänli

Rubi bekommt ein Gspäänli

Wir verliessen den vorerst nördlichsten Ort unserer Reise – Pucon –  Richtung Süden, um Susanne und Judith am Flugplatz in Puerto Montt abzuholen. Kaum angekommen, erlebten sie schon ein wenig Südamerika: «ihr» Autoverleiher hatte keine Empfangstheke in der Ankunftshalle und niemand wartete zur Begrüssung und Autoübergabe, wie bei Anderen. Dank Spanischkenntnisen und Telefon trafen wir schliesslich die Kontaktperson. Christian sprach sogar sehr gut Deutsch, was die Zuversicht stärkte, dass es mit dem fahrbaren Untersatz doch noch wie geplant klappen würde. Und tatsächlich: nach einer guten Stunde fuhr David mit einem silbrigen Jeep/Suzuki vor und «peitschte» die Autoübernahme durch, wie wenn er die verpasste Stunde einholen möchte. Anschliessend tuckerten wir zu Viert in zwei Autos los zum bereits vorreservierten Campingplatz in Frutillar mit schöner Cabaña am See. Die Fahrt hätte eine tolle Sicht auf den Vulkan Osorno versprochen. Aber das Wetter spielte nicht mit: Die prächtige Kulisse versank grau in grau in den Wolken.

Kaum in der Cabaña angekommen, begann die zweite Phase des Geduldspiels: Der Autoscheinwerfer des Jeeps liess sich nicht ablöschen, was auch eine neue Autobatterie innert absehbarer Zeit in die Knie zwingt. Wir taten, was wir bisher immer taten: wir fragten den Campingbesitzer, ob er helfen könne. Der erkannte das Problem schnell, rief seinen Sohn, der Mechanikerlehrling ist, und dieser konnte den Wackelkontakt beheben. Auf unser Drängen holte der Autoverleiher das defekte Gefährt ab zur Überprüfung, überliess uns ein Ersatzauto und brachte den Jeep am nächsten Abend wieder zurück – dieses Mal sogar geputzt! Nicht um 15Uhr wie versprochen, sondern um 18Uhr – also mit südamerikanischer Pünktlichkeit.

So starteten wir am Folgetag bei prächtigem Wetter unsere Osorno-Sightseeing-Tour um den Lago Llanquique. Doch schon beim ersten Halt – bei einem wunderschönen Friedhof – stellte uns der Jeep wieder auf die Geduldsprobe: Das Abblendlicht liess sich erneut nicht löschen. Wir machten trotzdem Pause in der Meinung, eine Stunde würde die Batterie sicher durchhalten bis wir weiterfahren. Doch Fehlanzeige. Die Batterie hatte offensichtlich die allerbesten Tage hinter sich, denn bei unserer Rückkehr regte sie sich nicht mehr. Sie hatte sich einen sehr passenden Ort ausgesucht zum Sterben. Zum Glück führen wir einen Pocketbooster in Rubis Bauch mit. Mit dem liess sich die Autobatterie überbrücken und damit den Tag «retten». Unsere Reklamation beim Autovermieter muss unmissverständlich gewesen sein, denn am Abend bekamen wir an unserem Übernachtungsort ein Ersatzauto – einen roten, sehr südamerikanisch aussehenden Toyota Hillux Pickup.

Wir wollen ja in den Süden auf der Carretera Austral, und die führt nur über den Wasserweg von Hornopirén nach Caleta Gonzalo – eine etwa vierstündige Fahrt mit der Autofähre. Um ja Platz zu haben mit unseren Autos wagten wir die Reservation im Internet. Nach mehrmaligen, frustrierenden Versuchen bei früherer Gelegenheit waren wir skeptisch, aber dieses Mal – hurra – war der Versuch von Erfolg gekrönt. Was man auch immer tun will in Chile, es braucht eine chilenische ID. Klar, dass wir keine haben. Aber dieses Mal haben wir per Zufall eine Nummer gefunden, die die Computerleute für ihre Tests gebrauchen. Und tatsächlich: Damit liess sich das Fähren-Sesam öffnen. Unsere Autos waren bald platziert auf der Fähre, ein Touri-Bus hingegen konnte einfach nicht boarden. Sein Hinterteil war zu tiefliegend. Ein südamerikanischer Kapitän gibt aber nicht so schnell auf. Nach mehrmaligem neuem Anlegen schaffte er es, die Brücke so zu platzieren, dass der Car rauffahren konnte. Mit einstündiger Verspätung war es dann soweit.

Die Fähre war voll, unter anderem mit einigen Motorrädern und einem Fahrrad mit farbigen Fahrradtaschen – die sich bei näherem Hinsehen als Wickelfische mit der Aufschrift «Basel Tourismus» entpuppten. Der Mann mit brauner Mütze hiess Klaus aus Zürich, der von Puerto Varas aus per Velo während 6 Wochen einen Teil der Carretera Austral erkundet. Er war völlig durchnässt und hinterliess überall eine Wasserpfütze. Er hatte sein Zelt am Vorabend am Flussufer aufgestellt und mitten in der Nacht gemerkt, dass er knöcheltief im Wasser liegt: Der Fluss entpuppte sich als Fjord. Er hatte nicht mit der Flut gerechnet 😊.

Die Unterkunftsmöglichkeiten am Ankunftsort in Caleta Gonzales waren sehr beschränkt. So fuhren wir weiter bis Chaitén mit dem Plan, am nächsten Tag im Pumalin Park zum Krater des Vulkans Chaitén zu wandern der als «nicht aktiv» eingestuft ist. Er war 2008 das letzte Mal ausgebrochen und verschüttete das ganze Dorf Chaitén so stark, dass es die Regierung aufgeben wollte.  Dank der Einwohner ist es buchstäblich wie Phoenix aus der Asche auferstanden. Leider war das Wetter ungünstig für die Wanderung und so verschoben wir die Tour auf den Folgetag.

Und tatsächlich: Am Morgen war das Wetter vielversprechend. Wir waren schon abfahrbereit, als uns der Cabañas-Besitzer sagte, wir könnten nicht zum Krater, weil die Brücke im Dorf von Demonstranten für Verkehr und Passanten total gesperrt ist und dass die Sperre bis 16Uhr dauern würde. Eine Alternative zur Flussüberquerung gab es nicht. So mussten wir auf die Kraterbesteigung verzichten. Die Demonstranten wollten sich einfach Gehör verschaffen für ihre Anliegen – nach vielen vergeblichen Versuchen. Der Cabañabesitzer bestätigte denn auch, dass als Folge der Zerstörung 2008 bei vielen Häusern im Dorf die Anschlüsse an Frischwasser und Strom immer noch fehlten und dass die Kanalisation der Abwasser generell fehlt.

Natürlich wurde die Autokolonne immer länger mit der Zeit.  Ein chinesischer Tourist beklagte sich, er müsse unbedingt sofort weiterfahren, um nach Puerto Montt zu gelangen, denn morgen sei sein Flug nach Santiago und zurück nach China. Er habe zu viel Gepäck, um es durch den Fluss zu tragen. Die Streikenden blieben standhaft. So gab es berechtigte Anliegen von beiden Seiten, der Konflikt liess sich nicht lösen.

Durch die Sperre kamen wir mit dem «Herr des Hauses» ein wenig ins Gespräch. Er kommt ursprünglich aus Santiago, war Lehrer und hat den Beruf an den Nagel gehängt, weil er sich der Administration und der Korruption (Originalton) nicht beugen wollte. Er kam vor 11 Jahren nach Chaitén und schuf die Cabañas. Es sei harte Arbeit, er habe wenig, aber er sei glücklich. In der Aera Pinochet wäre es viel besser gewesen: Arbeit, keine Korruption, keine Kriminalität. Seither wäre es nur bergab gegangen. Wie schwer es doch ist als Fremder, sich einen Überblick über das Land und seine Gegenwart zu verschaffen: Je nach dem, wen man wo trifft, bekommt man sehr unterschiedliche Meinungen zu hören.

Anstatt Krater gab es Gletscher: Im Parque Nacional Corcovado führte uns ein Wanderweg in einer Stunde dem Fluss entlang zu einem Gletscherabbruch. Vor einigen Jahren muss der Gletscher durchgehend verlaufen sein bis zur Talsohle. Die Klimaveränderung verschont offensichtlich auch Chile nicht.

Auf dem Weg ins Tal veränderte sich die Landschaft bei Santa Lucia schlagartig: der Talboden in seiner ganzen Breite bis weit hinauf war total verwüstet. Internet sei Dank wissen wir nun, dass sich vor 2 Jahren der Gletschersee nach heftigen Regenfällen plötzlich entleerte und das Tal verwüstete. Beeindruckend, mit welcher zerstörerischen Kraft, Häuser und Bäume bis weit hinunter wegrasiert wurden.

Zur Übernachtung gibt es zwar Cabañas fast im Überfluss. Wir aber machen es uns nicht so leicht: wir suchen eine Cabaña, wo wir auch den Camper daneben stellen können, denn schliesslich reisen wir ja zu Viert. Und so kam es, dass wir übernachteten à la «Ferien auf dem Bauernhof»: Hunde, die den Eingang zum Haus «bewachten», vorwitzige Hennen mit ihren Küken, die bei jedem unbeaufsichtigten Moment unser Häuschen inspizieren wollten und der Hahn, der uns zu Tagesbeginn aus dem Schlaf holte. Das Gefieder der Jungen wäre für Darwin eine Herausforderung für seine Evolutionstheorie gewesen: die einen waren ganz weiss, die anderen schwarz und die Dritten hatten schwarzweisse Muster. Die Schweine spazierten zum Glück nicht frei herum. Sie fanden aber Gefallen an den Schalen unserer Melone.

Weiter südlich wartete das Trecking zu den hängenden Gletschern im Parque Nacional Queulat. Ein imposanter Ausläufer des riesigen Gletschergebiets ragt fast bis ins Tal. Der Weg führte uns in knapp 2 Stunden durch üppigen, abwechslungsreichen Wald zum Aussichtspunkt. Sehr schön, die Sicht auf den Gletscherabbruch. Allerdings waren wir nicht die Einzigen unterwegs: Statt Grüezi gab es viele Hola’s zur Begrüssung und ein Lächeln. Also (fast) wie zu Hause…

Die Fahrt danach nach Puerto Cisnes bot ein Fahrgefühl «Carretera Austral» pur, wie es früher über die gesamte Länge von 1200 Km war: Auf Piste über einen atemberaubenden Pass mit vielen engen, steilen Kurven – mal in gutem Zustand, dann wieder äusserst ruppig mit vielen Löchern. Dass diese Verbindung immer noch zur Warenversorgung genutzt wird, sahen wir an den überlangen Sattelschleppern, die uns begegneten.

In Puerto Cisnes hofften wir, Robben und Delphine vom Strand aus beobachten zu können. Leider machten sie uns keine Freude: sie zeigten sich nicht. Im Moment sind wir weiter südlich in Coyhaique, wo wir einen Wasch- und Besorgungstag einlegen und das herrliche Wetter geniessen.

Die Tage seit Puerto Montt waren wirklich sehr abwechslungsreich: Wandern, fahren auf Teer und staubiger Piste, wo der Fahrtwind die Sicht vernebelt , dichter Wald, der fast einer «grünen Hölle» gleicht, Gletscher, weite Täler, die den Blick in die Weite ermöglichten, offene Weiden mit Hunderten von weissen Siloballen, Lupinienfelder mit den unterschiedlichsten Blautönen, Fjords und Flusslandschaften, Ortschaften mit Plaza im Zentrum und (rostigen) Sportgeräten, einstöckige (selten dreistöckige) Häuser aus Holz, Blech und Plexiglas: Und dies alles innerhalb von 800 Km.

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