El Condor pasa

El Condor pasa

Ja, wir haben ihn gesehen und dies mehrmals.

Nun aber der Reihe nach: Wir verliessen Coyhaique Richtung Süden. Schon bald veränderten sich die Farben der Landschaft: anstatt saftig grün, wie vor Weihnachten, eher spätsommerliches Gelb. Schon bald endete die geteerte Strasse. Staubig mit Rippen und Schlaglöchern ging es weiter. Wir kamen gut voran bis uns eine Baustelle ausbremste. Wir waren nicht die Einzigen: Die Strasse war den ganzen Nachmittag bis 17Uhr über total gesperrt wegen Sprengarbeiten. Manchmal muss man auch Glück haben, nach 30 Minuten war 17Uhr und es ging weiter. Aber wie: In der Kolonne im Staubnebel der Voranfahrenden einspurig die Baustelle abfahren war anstrengend. Irgendwann hatte sich die Kolonne soweit in die Länge gezogen, dass sich der Staub hinter den Autos senken konnte und die Sicht akzeptabel wurde. Es sollte nicht die einzige Behinderung sein an diesem Nachmittag.

Wenige Autos vor uns fuhr ein Touribus mit Gästen zu weit an den Strassenrand und rutschte weg. Der Lastwagen, der unmittelbar dahinter fuhr, stoppte sofort, um zu helfen – und versperrte damit die Strasse für den Verkehr. Der Fahrer holte das Abschleppseil hervor und ein Touri-Begleitfahrzeug mit Seilwinde war auch schon zu Stelle. Vorne gezogen und hinten gesichert, zogen sie das Pannenauto gemeinsam innert weniger Minuten zurück auf die Strasse. Nach dem verdienten Applaus der unfreiwilligen «Zaungäste» ging es weiter. Wir kamen deswegen so spät in Puerto Tranquilo an und fanden keine freie Cabaña mehr. Also wieder 11 Km zurück zu einem neueröffneten Camping am Rio Bras. Und siehe da: es war eines der schönsten Campings bisher und eine Premiere für Judith und Susanne: Die erste Übernachtung in ihrem Zelt und das erste Nachtessen zu Viert im Camper. Alles in allem eine gute Erfahrung.

Die einstündige Bootstour am nächsten Tag auf dem Lago General Carrera zu den Cuevas de Marmól war eindrücklich: unterschiedliche Farbtöne in glasklarem Wasser, filigrane Gebilde aus Marmor. Wunderbar. Die halsbrecherische Rückfahrt glich einem Höllenritt über die windgepeitschten Wellen, bei dem so mancher Hintern und Rücken leiden musste.

Gegen die Grenze zu Argentinien wurde die Landschaft merklich karger mit wild-romantischen Hochebenen am Fusse des imposanten, von Gletschern bedeckten Cerro Castillo und entlang des Lago General Carrera. Ein schöner Blick über den See jagte den anderen. Die tolle Szenerie muss die Autofahrbrille so begeistert haben, dass sie beschloss, unbemerkt aus dem Auto auszusteigen und hierzubleiben. Die Übernachtungsfraktion fuhr weiter, um in Puerto Guadal eine Cabaña zu ergattern und das Brillendetachement hoffte, den Flüchtling bei einem der besuchten Aussichtspunkte irgendwo zu entdecken. Doch die Mühe war vergebens.

Da der Grenzübertritt nach Argentinien bevorstand und wir Einfuhrbeschränkungen auf frische Lebensmittel befürchteten, veranstalteten wir um Mitternacht am Vorabend noch eine Rüst- und Kochaktion. Doch der Grenzübertritt erwies sich wieder als sehr einfach und schnell.

Kaum hatten wir argentinischen Boden unter den Rädern befanden wir uns in der Pampa: flache trockene Weite, wenig Vegetation, tiefes Gebüsch und viel Sand und Stein. Der vorherrschende Farbton wurde aquarellartig ocker.

Auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit landeten wir bei der Hostelería La Posta de los Toldos. Sie stellte sich als Juwel heraus: sie ist Teil eines «Rewilding Project» zur Wiederansiedlung von einheimischen gefährdeten beziehungsweise ausgerotteten Tieren. Und das sogar binational! Das Projekt umfasst 5 Standorte in Argentinien und Chile. Im Park gab es wunderbare Wanderwege als einfache Tagestouren.  Eine davon führte auf einen Aussichtshügel mit sensationeller Aussicht. Und da haben wir den Condor zum ersten Mal gesehen. Er flog sehr tief an uns vorbei. Etwas später besuchte uns ein Condor-Paar. Fantastisch, diese eleganten «Giganten» im Flug zu erleben. Auch Pumas und die äusserst giftige Spinne «Schwarze Witwe» sind dort zu Hause. Beiden sind wir (leider?, zum Glück?) nicht begegnet. Ein anderer Wanderweg führte zu den «Tierra de Colores», an beigen, gelben, roten, braunen und schwarzen Erdschichten vorbei. Ein wunderbarer Anschauungsunterricht für Geologie und Erosion.

Auch die «Cuevas de las manos» sind von dort aus zu erreichen: hunderte Handabdrücke wurden ritualmässig von Jung und Alt wie Fingerabdrücke auf dem Fels «abgedruckt», und zwar als Negativ. Sie sind mehrere Jahrtausende alt und dank Schutz vor Sonne und Wasser sowie der verwendeten Materialien noch im Originalzustand. Da sieht man gesunde, kranke und verstümmelte Hände. Offensichtlich waren die meistens Menschen Rechtshänder, denn sie verewigten die linke Hand. Mit der Rechten wurde die Farbe um die Handumrisse gezogen. Die Menschen der unterschiedlichen Epochen nutzten unterschiedliche Farben und Farbtöne und gaben gleichzeitig auch praktische Hinweis zum Überleben an die nächste Generation weiter. So entstand die Dokumentation ihrer Geschichte, sichtbar an einem Ort.

Ist man «in der Gegend», kann man am «Fitz Roy» kaum vorbeifahren: Auf dem Weg nach El Chaltén dem Lago Viedma entlang dominiert dieser Berg den Horizont. Für unsere Tour zum Aussichtspunkt «Lago de los Tres» am Fusse des Fitz Roy hatten wir einen strahlenden Tag erwischt. Wir waren früh am Morgen bei starkem (patagonischem) Wind und einigen Regentropfen gestartet, das Wetter besserte sich dann aber bald und verwöhnte uns mit Sonne und einer leichten Brise. Die war nicht unerwünscht, denn die sensationelle Aussicht mussten wir uns mit einem anstrengenden Aufstieg verdienen.

Auch am Perito Moreno Gletscher sollte man nicht vorbeifahren. Ein Steg führt vom Parkplatz aus zu verschiedenen Plattformen. Um 16.30 waren bereits viele Touricars auf dem Heimweg und so hatten wir Platz und «freie Sicht». Die Szenerie ist schlicht umwerfend: Vom Steg aus kann man die 1 Km breite und 40 bis 60 Meter dicke Eiswand wunderbar beobachten. Mit Glück kann man erleben, wie Eismassen abbrechen und in den See fallen und als Eisschollen davondriften. Und wir hatten VIEL Glück: Während zweier Stunden bröckelte vor unseren Augen immer mal wieder Eis ins Wasser. Als wir uns schon auf den Nachhauseweg aufmachen wollten, durften wir einen grossen Abbruch miterleben. Ein fantastisches Erlebnis, ein riesiges Getöse.  

Auf der Bootstour zu den Gletschern Seco, Heim, Spegazzini, Upsala und Perito Moreno waren für uns eindeutig die treibenden Eisschollen des Upsala Gletschers der Höhepunkt. Wie Geschmäcker und Kultur doch verschieden sind: wir wurden zum «Höhepunkt» der Tour bei der Gletscherwand des Perito Moreno auf das Upperdeck gebeten: die argentinische Nationalhymme ertönte, mitbesungen von den Einheimischen. Das ist Patriotismus pur!

In El Calafate konnten wir an einem Sonntagnachmittag auch ein Rodeo mit Wettkämpfen besuchen. Da ging es nicht darum, nicht vom Rücken eines verrückten Stiers zu fallen, sondern sie massen sich auf ihren Pferden im «Slalomrennen» und Lassowerfen und wie man Kälber am schnellsten über einen Parcours treibt. Das ganze Dorf trifft sich mit Frau und Kind. Die Reiter und Reiterinnen sind im Gaucho-Look gekleidet. Wie selbstverständlich Gross und Klein schon auf einem Pferderücken sitzt und das Pferd (meistens) tut, was es tun soll, ist schon beeindruckend.

Dass wir unterwegs vielen Guanacos begegnen, daran haben wir uns gewöhnt.  Fuchs, Condor, Nandus (südamerikanischer Strauss), Ibis, Schwarzhalsschwäne, Hasen, Flamingos und Gürteltiere zählen wir inzwischen auch zu unserer Beobachtungsbeute. Möglicherweise hat sich sogar ein junger Puma in der Pampa am Schlafzimmerfenster vorbeigeschlichen.

Dass man es mit den Verkehrssignalen nicht so genau nimmt (vor allem Geschwindigkeitsbeschränkungen werden kaum eingehalten), haben wir adaptiert. Aber man kann sich doch auch täuschen: In einem Ortszentrum bemerkten wir, dass wir hätten abbiegen sollen. Und bei der nächsten Kreuzung befahl ein Verkehrsschild «Wenden verboten». Weil wir keinen grossen Umweg fahren wollten, taten wir so, wie wenn wir nichts gesehen hätten. Doch kaum umgedreht, radelte ein Polizist an uns vorbei über das nächste Rotlicht, was uns in unserer Meinung bestärkte, dass sich niemand wirklich um Verbotstafeln kümmert. Doch der Carabiniere erwies sich als schlau und stoppte uns nach dem Rotlicht. Wegen Verständigungsschwierigkeiten musste er seine Belehrung und Botschaft auf seinem Handy abrufen und mit Google übersetzen, was wir mit viel «so sorry» quittierten. Er liess uns dann mit einer Ermahnung weiterziehen.

Eigentlich war als nächster Etappenort der Parque Nacional Torres del Paine geplant. Die Preise für Unterkünfte sind aber horrend. Viele sind in dieser Ferienzeit auch seit langem ausgebucht. So änderten wir kurzfristig unseren Plan und fuhren zur Ostküste rüber. Darüber aber mehr im nächsten Blog.

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