Argentina, hasta luego

Argentina, hasta luego

Es ist allerhöchste Zeit, dass ich mich wieder einmal bei Euch melde. Schliesslich bin ich schon seit 4 Monaten bei meiner Pflegemami. Ein wenig langweilig ist mir schon, so immer am gleichen Ort zu sein. Aber ich habe in dieser Zeit auch meinen Ur-Onkel näher kenngelernt. Er heisst Dailan Kifki – das ist ein Märchenelefant, der auch fliegen kann. Und wir verstehen uns prächtig. Er steht direkt neben mir, ist 58 Jahre alt und hat lange als Reisebus gedient. Er läuft noch, hinkt aber schrecklich bei jeder Radumdrehung und hustet und stottert ohne Unterbruch. Die Sitze in seinem Bauch sind sehr runzlig und seine Haut ist rostig.  Aber Hut ab: er bewegt sich immer noch! Meine Pflegemami hat ihn zusammen mit ihrem Freund vor dem Shredder auf dem Autofriedhof gerettet. Nun versuchen sie, ihn wieder jünger aussehen zu lassen und ihn gesund zu pflegen. Sie wollen auch mal auf Reise gehen mit ihm. Ja, in Südamerika wird ihnen dies sicher gelingen… Erstaunlich, wieviel Selbstvertrauen sie haben, denn er ist Sozialarbeiter und sie Tangolehrerin – also keine Spur von Mechanikerausbildung. Sie haben auch nicht viel Geld, um sich Ersatzteile zu kaufen. Nein, es ist reinstes Recycling. Man sagt, was man braucht und von irgendjemandem bekommt man den Hinweis, wo was zu finden ist. Sie haben auch ein kleines Grundstück mit einer kleinen Hütte gekauft und mit den eigenen Händen ein Wohnzimmer angebaut. Im Moment sind sie daran, ein Schlafzimmer darüber im 1. Stock zu konstruieren – Anleitungen dafür fanden sie im Internet.  Dies war gedacht als Rückzugsort bei Pensionierung, denn von der Rente kann man kaum leben. Im Moment allerdings ist es coronabedingt ihr Zuhause. Meine Pflegemami sagt immer wieder: wir haben schon viele Krisen überwunden und werden auch diese überstehen. Dabei verkauft sie Tangostunden zum Frühbucherpreis für die «Nach-Coronazeit». Bewundernswert, diese Kraft, sich nicht unterkriegen zu lassen und trotz allem immer wieder mal zu feiern, zu singen und zu tanzen. Leise sind die Argentinier nämlich auch während Corona nicht 😉

Meine Coronaflüchtlinge sind immer noch zu Hause. Welch ein Hin und Her im Wochentakt: zuerst versprachen sie mir, bald zurückzukommen und die abenteuerliche Reise fortzusetzen. Dann planten sie, mich im September abzuholen und nach Uruguay zu bringen, damit wir wenigstens die USA und Kanada erkunden können. Und jetzt ist auch dies alles Schall und Rauch: Sie lassen mich per Containerschiff nach Hamburg bringen und deponieren mich danach auf einem Campingplatz, um zu überwintern. Stellt Euch das mal vor: Ich habe Saft und Kraft und bin in der Blüte meines Lebens und muss mir dann sicher jeden Tag das Gejammer von gebrechlichen, aufgebockten, zu Wochenendhäuschen aufgetakelten Wohnwagen anhören. Eine einzige Katastrophe.

Das Gute daran ist, dass ich dann keine Angst mehr haben muss, dass sich jemand an meinem Bauch zu schaffen macht und mir meine Eingeweide klaut. Im Moment ist ja noch einigermassen Ruhe in Buenos Aires. Unter anderem auch, weil die vielen Taglöhner in den Armenvierteln noch Essensgutscheine bekommen. Dies und die Suppenküchen retten sie vorerst vor dem Verhungern. Wie wird das aber, wenn diese Quellen versiegen ? Schon jetzt müssen meine Pflegeeltern einen Zaun um einen ihrer umgesägten Bäume bauen, weil sich sonst sofort ungebetene Nachbarn mit Brennholz versorgen würden.

So muss ich mich halt vom Traum des unbeschwerten Reisens auf dem amerikanischen Kontinent verabschieden und mich mit Fahrten in Europa abfinden. Dort soll es auch schöne Landschaften geben, hab ich gehört. Jä nu: Ich freue mich einfach darauf, wenn ich wieder den Motor schnurren lassen und meine Mitfahrer glücklich machen kann. Aber noch ist es nicht soweit: erst muss ich die Überfahrt über den grossen Teich überstehen. Ich werde Euch wieder davon berichten…

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